Vietnam der Länge nach: Die Nationalstrasse 1 – Hier ist die Geschichte Vietnams

Die Nationalstraße 1 ist die Lebensader Vietnams. Seit 1000en von Jahren bewegen sich auf diesem Weg ganze Völker im Vormarsch und Rückzug. Der Vietnamkrieg hat steinerne Zeugen hinterlassen, andere als die Zeugen der glanzvollen Zeit der Chams. Hier ist die Geschichte Vietnams fühlbar, hier spürt man den Atem des sich schnell verändernden Landes. Hier in der Gegend von Nha Trang waren die letzten glanzvollen Jahre der Chams. Vertrieben und geschlagen rückten sie weiter gen Süden, wo sie heute im Mekongdelta verstreut die letzten Züge ihrer ehemals großen Geschichte atmen.

Kilometerlang an den Reisfeldern vorbei
Kilometerlang an den Reisfeldern vorbei

Der Turm von Cha Tan ist nicht zu übersehen. Sein Schatten schlägt sich auf die N1 bei untergehender Sonne und wenn die blutrote Scheibe den Hintergrund gestaltet, halten zumindest all diejenigen an, die einen Sinn für kitschige Sonnenuntergangsfotos bei düsterem Vordergrund haben. Tagsüber ist der touristische Verkehr geringer, die Hitze drückt den Reisenden nach vorn. Für einige Frauen und Männer ist die Nähe zum Turm Lebensgrundlage. Da ist ein Gemüse- und Obststand und daneben Tan mit seinem Affen. Eine alte Frau kauft ihre alltäglichen Dinge für das Mittagessen und entscheidet spontan, sich doch noch eine Avokado mehr zu leisten. Aufmerksam verfolgt das kleine Totenkopfäffchen die Szene, und wäre da nicht der deutsche Fotograf gewesen, dessen Bitte entsprochen wurde, den Affen doch einmal aus dem Käfig herauszuholen, hätte die alte Frau ihre Avokado auch mit nach Hause bekommen.

Ein Lächeln zieht sich durch die Gesichter der Zeugen, und langsam wird jedem klar, wer hier der große Sieger war, der Affe. In endlosen steilen Serpentinen geht es abwärts vom Wolkenpaß Richtung Kaiserstadt Hué. Die schwarzen Wolken im Berg verheißen nichts Gutes. Aber hinter dem Wolkenpaß mit besserem Wetter zu rechnen, ist naheliegend und so sind wir nicht beunruhigt. An den Straßenrändern liegt die Reisernte des heutigen Tages. Die Frauen nutzen den Fahrtwind, um die Spreu vom Reis zu trennen. Mit gekonnter Handbewegung leiten sie die schwere Arbeit ein. Sie werfen mit Unterstützung ihres spärlichen Körpergewichts in einem eng geflochteten flachen Korb kiloschwere Reisportionen genau in dem Moment in die Luft, wenn die schweren Lastwagen oder schnellen PKW dicht ihre Standposition passieren und der aufwirbelnde Fahrtwind die Spreu aus dem Reis löst und davontreibt. Die Konzentration der Fahrer darf in den Abendstunden nicht nachlassen, denn die Fläche der Reistrocknung geht in hart umkämpften Regionen manchmal bis zur Mitte der Fahrbahn. Die Männer bringen mit Pferdewagen das Reisstroh nach Hause, wo es zu Schobern zusammengesteckt wird, um danach getrocknet irgendwann für Mensch oder Tier weiterverwertet zu werden.

Gerade verschwindet die Brücke mit dem massiven, weißgestrichenen Brückengeländer aus schweren Betonteilen aus dem Blickfeld, da machen die heftigen, aber kontrollierten Bewegungen unseres Fahrers jedem im Auto klar, daß das hier keine Spazierfahrt mehr ist. Mit lautem Krachen rast der Wagen auf den Abhang zu. Unten schrecken die Reisbauern auf. Lautes metallisches Kreischen zerreißt die Stille auf den Feldern. Eine zerstörerische Kraft zerrt unsichtbar an der Seitentür und öffnet sie einen kleinen Spalt. Das Auto rast nunmehr unkontrolliert auf den grasbewachsenen Seitenstreifen zu, gräbt sich mit dem hinteren Teil in den Sand und schiebt sich wie auf Schienen durch die trockene Grasnarbe parallel zur abfallenden Böschung. Erst als der aufgewirbelte Staub das Fahrzeug von hinten überholt hat, ist jedem klar, daß es nun steht. Ein paar Meter vor einem Betonmast. Der Fahrer ist sehr ruhig.

Das Fahrzeug ist seine Kapitalanlage, Wohnung und sein Arbeitsplatz. Es ist sein gesamter Besitz, und die beiden werden in Saigon gegen eine Provision von Freunden an Touristen weitervermittelt. Seit vielen Jahren sind sie unzertrennlich. Er schläft auf den Reisen in seinem Wagen, und oft ist das Auto Treffpunkt. Er sitzt hier mit seinen in ganz Vietnam verstreuten Freunden nächtelang, weil sie sich Bars oder Restaurants nicht leisten können. Ohne ihn hätte dieses Auto spätestens nach dem endgültigen Abzug der Amerikaner 1975 seinen Platz auf der Straße räumen müssen. Baujahr 65 und im Kriegseinsatz war es 10 Jahre später eigentlich nur noch ein großer Schrotthaufen.

Das war´s. Die Suche nach dem Reifen verläuft ergebnislos, die blitzschnelle Dunkelheit bricht durch, und die zusammengelaufene Menge der Reisarbeiter verliert langsam das Interesse, bis auf ein paar, die später noch eine entscheidende Rolle spielen sollen. Die Nationalstraße 1 bietet schnelle Lösungen. Der erste Minibus hat Platz für alle, das Gepäck geht auf´s Dach, und mit einer nur kurzen Verzögerung erreichen wir die Kaiserstadt Hué trockenen Fußes, aber mit feuchtem Gepäck. Der dunkle Himmel wurde Wirklichkeit.

Leichter Dampf löst sich aus dem Straßenasphalt, die Spuren der Lastwagen im weichen Belag sind noch nach Stunden zu sehen. Es ist keine Wolke am Himmel, die dieses brennende Licht bremsen könnte. Schattenlos senkrecht erdrückt sie jede menschliche Aktivität und doch ist diese Straße stark befahren. Die hochbeinigen Fahrzeuge aus alten DDR-Fabriken und Bruderland-Beständen machen hier das Straßenbild aus. Der W 50 ist das, was der Käfer einstmals für das westliche Deutschland war. Dazwischen die schweren 3-Achser aus dem damaligen Mutterland Sowjetunion. Sie alle bewegen die Waren von Nord nach Süd und von Süd nach Nord. Andere Richtungen gibt es nicht für die Fahrer.

Die Nationalstraße ist Arbeitsplatz

Sie sitzen tagelang in ihren glutheißen Fahrerkabinen. Die spärliche Ausstattung der Fahrzeuge reduziert den Komfort auf das Notwendigste, zum Luxus gehört bereits die Möglichkeit, alle verfügbaren Fenster zu öffnen und zu schließen. Hier wird gegessen, gearbeitet, geschlafen und geliebt. Kurz vor dem Dorf Sa Huynh nimmt die Anzahl der Arbeitenden in den endlosen Reisfeldern auf beiden Seiten der Nationalstraße zu. In jedem Feld, der in winzige Parzellen zerteilten Landschaft, arbeiten die Dorfbewohner unter den schattigen Strohhüten. Der Tag geht langsam zur Neige, und die Familienmitglieder treffen sich auf dem Familienreisfeld. Die arbeitsintensive Reiswirtschaft dient der Vollbeschäftigung und dem sozialen Gefüge. Jede dieser kleinen Reispflanzen wird mindestens viermal in ihrem kurzen Leben in die Hand genommen, umgepflanzt, gesteckt und bewässert, um nach der Ernte mit dem Wasserbüffelpflug im Erdreich zu verschwinden.

Der Tag geht zu Ende. Kinder bringen die Herde heim.
Der Tag geht zu Ende. Kinder bringen die Herde heim.

 

Ein Gedanke zu „Vietnam der Länge nach: Die Nationalstrasse 1 – Hier ist die Geschichte Vietnams

  1. Der Bericht gefällt mir und man liest, dass beim Reisen allerlei unterhaltsame Dinge geschehen. Eines fiel mir auf ” … Hier ist die Geschichte Vietnams fühlbar, hier spürt man den Atem des sich schnell verändernden Landes. …” Die Bilder und der Text vermitteln das nicht. Reis an der Straße zu trocknen und alte Autos zu fahren, die sonstwo längst auf dem Schrott gelandet wären, vermitteln eher den Eindruck des Stillstands. Ich war nie in Vietnam und spreche dem Land keine Entwicklung ab. Wenn sie existiert und nicht nur darauf beruht, dass die Erinnerungen an den Vietnamkrieg verblasst sind und Touristen einen kriegs- und stressfreien Alltag erleben, sollte man sie konkret beschreiben.
    Euer Blog ist gut und der Mix vom Anglerverein am Tegeler See bis zur Autofahrt in Vietnam hat was. Macht weiter!

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