Kambodscha pur. Von Angkor in das Reich der Khmer

Gestern begegnete ich einem Pärchen wieder, die mit mir im Bus hier nach Siem Reap gefahren sind. Ich sei ja schon häufiger hier gewesen, wussten sie, sie hätten gestern einen Tag Angkor gemacht, „was gibt es denn sonst noch so, wir fahren erst gegen Nachmittag weiter nach Phnom Phen, hätten noch ein paar Stunden“. „Einfach etwas länger duschen“, habe ich gesagt, „dann passt es schon“.

Motive ohne Ende
Motive ohne Ende

Angkor macht man nicht in ein paar Stunden, Angkor ist ein Mysterium. Nur wer sich hineinbegibt kommt nicht darin um. Tageskarte 20$, 3-Tageskarte 40$ und die Wochenkarte 60$. Jeweils ist der Sonnenuntergang tags zuvor am Prasat Bakheng ab 16:45h inklusive und umsonst. Ab dann werden die Karten der nächsten Tage verkauft. Wer unter drei Tage hier aufschlägt, wird Angkor nie verstehen. Angkor ist nicht nur Weltkulturerbe und Weltwunder, sondern ein unbedingtes Muss für jedermann, der es sich leisten kann.

Die Tore ins Zentrum
Die Tore ins Zentrum

Hauptmerkmal der Khmer-Architektur ist der kosmologische Charakter. Jeder Tempel stellt das Universum in Miniatur dar, der Tempel galt als Abbild der Welt. Die christlich geprägte Vorstellung, in den Tempeln könne man wie in einer Kirche beten, ist abwegig. Teilweise haben die heiligen Räume nicht einmal Türen, die Innenfläche des Sanktuariums in Angkor Wat z.B. gehört zu den Größten und ist in den Maßen nur 4,60 mal 4,70. George Coedes schreibt: „In der brahmanischen Weltbeschreibung ist ein zentraler Kontinent, der Jambudvipa, in dessen Mitte sich das kosmische, von Planeten umringte Gebirge Meru erhebt, von sechs ringförmigen, konzentrischen Kontinenten und sieben Meeren eingekreist, dessen siebtes von einer großen Felsmauer umgeben ist. Auf dem Gipfel des Meru steht die Stadt des Brahma, die Welt der Götter, umgeben von den acht Wächtern der Kardinalpunkte.“ Diese Merkmale sind streng eingehalten in jedem Khmerbau, in einfachen Bauwerken wie auch in komplexen Tempelanlagen.

Das 20.000 Hektar große Ruinenfeld ist das anschaulichste und authentischste Symbol von 500 Jahren Geschichte eines Khmervolkes. Es ist bemerkenswert, dass es während der gesamten Roten Khmer-Kriegszeit niemals auf dem Gebiet der Tempel Kriegshandlungen oder Übergriffe auf Touristen und Forscher gegeben hat. Zwar haben einige durchgedrehte Soldaten der Roten Khmer wahllos auf Steinfiguren geschossen, jedoch waren das Taten einzelner. Mehr Beschädigungen wurden angerichtet durch Räuber, die aus Profitgier Köpfe und Reliefs aus den Wänden herausgebrochen haben, um sie auf dem Antiquitäten-Markt in Thailand zu verkaufen. Diebstahl ist in dem weiten Gebiet in Angkor relativ einfach, sogar aus dem Depot der Denkmalschutzbehörde sind wertvolle Gegenstände abhanden gekommen.

Die Bäume holen die Kultur, heute holt die Kultur die Bäume
Die Bäume holen die Kultur, heute holt die Kultur die Bäume

Vor den Kriegen in Kambodscha hatte sich Frankreich für den Erhalt Angkors engagiert, es folgten Japan 1983 und Indien 1986. Inzwischen arbeiten wechselnde internationale Expertenteams in Angkor. Die USA arbeiten zur Zeit am Tempel Preah Khan, Indonesien ist beschäftigt mit der Eingangshalle zum Königspalast in Angkor Thom und die Deutschen sitzen über ergiebigen Forschungen im Tempel Preah Ko, der zum Roluos Ensemble gehört. Außerdem finanziert gerade das Auswärtige Amt die Rekonstruktion der Rechten Ecke von Angkor Wat. Italien hat die Studien am Tempel Pre Rup übernommen. China finanziert die Konservierungsmaßnahmen am Tempel Chau Say.

Man hat viele neue Erkenntnisse erarbeiten können, einige Aspekte in der Geschichte dieses Khmer-Reiches mussten neu geschrieben werden. Denn noch Ende des 13. Jh. scheint es Wohlstand in der Stadt gegeben zu haben. Erst der Übertritt der Khmer-Könige zum Theravada Buddhismus bedeutete das Ende. Große Steinbauten wurden ersetzt durch verzierte Holzkonstruktionen. Aus der letzten Etappe von Angkor ist so gut wie nichts übrig geblieben. Heute nimmt man an, dass der Niedergang des Khmer-Reiches mit der imposanten Stadt Angkor, die damals die größte der Welt war, sehr schnell verlief. Doch verlassen wr sie nie. Immer haben hier Mönche gelebt und gebetet. Gerne würden die Franzosen eingehen als die Entdecker von Angkor, aber das stimmt eben so nicht. Angkor ist als Gesamtensemble in der Liste des Weltkulturerbes schon sehr früh aufgenommen worden und wartet nun auf die Besucher, die es verdient hat. Und das sind die, die sich auch schon zuhause mit diesem Wunder der Welt beschäftiget haben.

Die neuen asphaltierten Straßen machen eine Rundreise durch die Tempelstadt erst möglich. An der Straße steht ein riesiges Wasserrad, das bezeugen will, wie kompliziert, aber technisch ausgereift die Wasserversorgung hier war. Das Rad schaufelt über eine Höhe von 10 Metern in kleinen Portionen das Wasser auf die nächste Ebene. Das Rad ist vollständig erhalten und versieht seinen Dienst im Zeitalter der Wasserpumpe.

Angkor Wat - das Zauberwort
Angkor Wat – das Zauberwort

Alles begann im 9. Jahrhundert. Das Reich der Khmer war bis zu diesem Zeitpunkt in viele kleine Staaten aufgeteilt. Nichts konnte sie zu einem großen Staat zusammenfassen. Aber dann kam der Eroberer König Jayavarman II (8802-850). Er einte die verstreuten Khmer-Dynastien, erklärte ihre Unabhängigkeit, vergrößerte durch Feldzüge sein Reich und baute seine Residenz am Berg Kulen, 30 Kilometer nördlich von Angkor. Nach seinem Bruder (850-877) kam Indravarman (877-889) auf den Thron. Er baute Preah Ko und Bakong, die zur heute etwas abseits gelegenen Rouluos-Gruppe gehören. Er organisierte die mehrfachen jährlichen Reisernten und legte den ersten kleinen Stausee an. Sein Sohn (889-900) baute dann den riesigen Stausee, den östlichen Baray (6 mal 2 Kilometer). Die Blütezeit Angkors begann mit Suryavarman II (1113-1150). Er errichtete das größte Bauwerk Kambodschas, Angkor Wat.

Angkor ist von Siem Reap fünf Kilometer entfernt. Das ist zu Fuß zu weit und so haben die meisten Besucher einen bewährten und preiswerten TukTukfahrer gemietet, d.h. all inklusive, Maschine, Fahrer und manchmal auch Reiseleiter. Mein Fahrer heißt YaYa. Er will mir seinen Onkel vorstellen, der in Angkor arbeitet. Wir fahren nach Sras Srang. Hier war die königliche Badestelle. Es ist ein kleiner Baray, auch heute noch mit Wasser gefüllt. Hier ließ Jayavarman VII einen hübschen kleinen Anlegeplatz bauen und die Ufer mit Sandstein verkleiden. Der Parkplatz ist groß, bis zum Wasser reihen sich die Verkaufsstände. Die Kinder kommen mit Flöten und kleinen Holzbooten. Ihre ersten Englischkenntnisse sind für das Geschäft ausreichend. Die Erwachsenen an den Ständen betrachten mit Wohlwollen, dass ihre kleinen Vertreter das Geschäft des Handelns und Feilschens in einer fremden Sprache beherrschen. Denn der, der Englisch kann, ist mit seinen Produkten weit vorne und findet schnell Zulieferer, bei denen er die Preise selbst mitbestimmen kann. Ich kaufe fünf Flöten und zwei Schiffe. Glücklich und erschöpft wenden sich die kleinen Geschäftsleute ihren nächsten Opfern zu.

Viele Steinmetze arbeiten heute in Siem Reap an den Reskonstruktionen
Viele Steinmetze arbeiten heute in Siem Reap an den Rekonstruktionen

Der Onkel von YaYa ist nicht da, aber seine Verwandtschaft begrüßt uns herzlich. Doch wir müssen aufbrechen, denn Angkor ist groß. Die Bezeichnung Angkor, „die Hauptstadt“, stammt vom Sanskritbegriff Nagara, „Stadt“. Häufig wurde dieser Begriff einem Ortsnamen vorangesetzt und so heißt Angkor Wat die Stadt, die ein Tempel ist und Angkor Thom „große Stadt“.

In dem heutigen Park von Angkor entstanden seit dem 9 Jh. nacheinander und an verschiedenen Stellen sieben Hauptstädte auf einem 300 qkm großen Gebiet. Diese gigantischen Projekte sind heute größtenteils spurlos verschwunden. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass das Leben der Khmers sich bis zum Beginn des 20 Jh. kaum unterschieden hat vom Leben der Khmers heute. Sie lebten damals wie heute in Holzhütten, die schnell verrotten und sich als Zeitzeugen kaum eignen. Es ist umstritten, ob die Herrscher von damals ihr Volk wie Sklaven hielten. Man vermutet, dass nur durch die finanzielle und körperliche Ausbeutung ohne jede individuelle Freiheit solche Bauten möglich sind. Das steht jedoch im Widerspruch zu einer Schrift des chinesischen Diplomaten Chou Ta-kuan: „Es ist nicht notwendig, Kleidung zu tragen. Da Reis leicht zu haben, Frauen leicht zu überreden, Häuser leicht zu bauen und Handel leicht zu treiben ist, gibt es viele Seefahrer, die sich hier fest niederlassen.“

In den Tempelanlagen müssen sich, nach der Anbaufläche vom Reis gerechnet, ungefähr 1 Million Menschen aufgehalten haben. Um diese Menge Menschen zu ernähren, benötigte man komplizierte Bewässerungssysteme und ein zentralistisches Gesellschaftssystem.

Die Hochkultur der Khmers konnte nur entstehen, weil es eine Überproduktion von Nahrungsmitteln gab. Sie beherrschten die Wasserströme, nutzten die Monsunzeiten und konnten mit dem See Tonle Sap ihr perfektes Bewässerungssystem installieren. Waren früher die Reisbauern auf die 4-monatige Regenzeit angewiesen, um ihren Reis zu ernten, wussten die Könige von Angkor, dass nur die Aufhebung der Regen- und Trockenzeit Nahrung und damit Macht bedeuten würde. Sie begannen die riesigen Wasserbecken zu bauen, die Barays, die während der Monsunzeit mit Wasser gefüllt wurden. Mit einem perfekten Bewässerungssystem konnten sie mit dem gestauten Wasser drei weitere Ernten im Jahr einbringen. Das war die Voraussetzung zur Macht und damit begann der Reichtum in Angkor.

Mehr Lebensmittel bedeutet auch mehr Menschen, die für neue Aufgaben eingesetzt werden konnten. Angkor hatte genügend Soldaten, um sich vor den Chams und den Siams zu schützen. Aber überwiegend konnten die Menschenmassen eingesetzt werden, um Tempel zu bauen und die Landschaft für die riesigen Anlagen zu verändern. Künstler hatten Zeit, die Heiligtümer auszugestalten, eine große Anzahl von Mönchen und Priestern konnte sich hier ohne Überlebensanstrengung aufhalten und damit die Grundlage für das geistige Erbe der Khmers legen. Alles war nur möglich durch das hochentwickelte Wassersystem.

Ästhetik und Vernichtung
Ästhetik und Vernichtung
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