Jetzt schreibe ich einen Text … mittendrin in der Karaoke-Bar. Ganz live und ohne Pause. Die Musik ist aussergewöhnlich gut ausgesteuert, es ist angenehm. Ich habe schon zwei Lieder gesungen. “Words” von den Bee Gees und “The Sound of Silence” von Simon and Garfunkel. Dass wieder die halbnackten Bilder darunter liegen, kann ich nicht ändern. Mein schwedischer Freund ist bereits nach Sekunden abgehauen. Es ist zuviel fur einen alten Punk. So sitze ich hier, ein Barang alleine in einer kambodschanischen Karaoke-Bar.
Mir macht das nichts aus, wer sechs Monate im Jahr unterwegs ist, geht solche Pfade im Alleingang. Integration gehört immer dazu, temporär Teil werden von fremden Kulturen, wenn sie nicht gegen die eigenen Prinzipien des Respekts vor anderen Menschen verstoßen. Okay, ein deutscher Freund würde jetzt auf den Aspekt der Ruhestörung durch Karaoke hinweisen, ein Maßstab aus einer anderen Welt.
So sitze ich als einziger Barang in der kleinen Karaoke Bar. Man hat mir einen Jug, einen Krug Bier mit 2,5 Litern, gebracht und ich werde ihn austrinken. Bei 28 Grad draussen um 22:30 wird das Bier schnell warm. Daher muss man, ob man will oder nicht, einen kleinen Eiskübel dazubestellen. Ich habe keinen mehr abbekommen. Also teile ich mit dem Nachbartisch.
Dieses Eis hat einen Vorteil. Es verdünnt das Bier, so verdünnt es auch den Alkohol und so kann man sich alleine mit einem Jug über die Nacht retten, vielleicht. Um 24:00 ist hier Schluss, heißt es. Wer das glaubt, wird selig, aber ich schaffe den Jug bis Mitternacht. 2,5 Liter in zwei Stunden. Gerne hätte ich mit dem Punk geteilt, aber es geht auch so.
Dies ist die einzige Karaoke Bar, die englische Songs hat, und ich singe gerne, was meinen Freunden in der Heimat unbekannt ist. Karaoke in Berlin? Aber hier darf ich mich richtig ins Zeug legen. Es hört eh keiner zu und falsch singen kann man gar nicht. Ich habe “Me and Bobby Mc Gee” bestellt und “The Boxer”. Machmal bekomme ich Applaus, aber das wird wohl an der Visualisierung der Songs liegen. Eigentlich höre ich ja auch nicht zu und schreibe gerade an diesem Text. Egal. So können meine Gastgeber, die Karaokeeltern, sich um die anderen kümmern und müssen sich nicht mit mir beschäftigen.
Im Moment passiert nicht viel. Der Programierer speist die Zahlen ein. “Words” von Bee Gee ist 1378, einige sind einstellig, z.b. “Lady in Black”… fängt ja nun nicht gerade mit A an, aber dies ist ein Khmer-System, versteht keiner.
Dann kommen Männer mit ihren Motorbikes fast bis in die Bar und eröffnen einen Kampftrinkertisch. Draußen sind die Deppen mit dem Klapperkolz unterwegs. Überall, Tag und Nacht, machen die ihren Spektakel. Sie sagen mit ihrem verdammten Geklappere, du kannst eine Suppe bestellen, die wird geliefert, gegen Vorkasse. Haha!
Das Bier, die Hitze, der Gesang, …, ich weise auf den Ventilator. Sie machen ihn an. Er haucht mich bei jeder Wende kurz an. Die Luft ist erfrischend, weil sie rausblässt und den Fäkaliengeruch von draußen nicht reinlässt. Hier ist die Entsorgung sehr einfach geregelt. Was oben ist, fliesst nach unten, was dick ist, bleibt hängen und was dünn ist, geht ins Trinkwasser. Ganz einfach.
Der erste Kollege vom Kampftrinkertisch erscheint und möchte anstossen. Das ist heikel, man muss imer gleich austrinken, verlangt die lokale Sitte. Was für ein Glück, ich bin dran mit “House of the Rising Sun”. Na besser geht es wohl nicht, der richtige Song am richtigen Ort. Die alten Männer dahinten im dunklen Eck begrabbeln die Karaoke-Ladies, streicheln über den Nacken. Das ist hier schon fast Pornografie, Exibitionismus, Vielweiberei. Doch es geht auch anders, eine Sache des Geldes. Gegenüber gibt es Räume und da kann man hingehen.
Berühren ist in Kambodscha nicht gerne gesehen, unerwünscht. Nur das Halbdunkel der Karaokebar bringt ihr einen Platzvorteil. Die Eltern gucken nicht und die Freundin oder Frau ist weit weg. Das Paar neben mir ist sehr jung und sehr sympathisch. Immer wieder reichen sie das Eis rüber. Leider sprechen sie kein Englisch, schade. Gerade läuft der Selbstmordsong. Den hab ich schon im Fernsehen gesehen. Asiatisches Drama: Eine Frau, zwei Männer, sie bringt sich um.
Neue Kundschaft meldet sich über Smartphone an. Es ist 23.30. Die haben es eilig. Ein Handyanruf und der Platz ist vorbereitet. Hier läuft der programmierte Wahnsinn. Alle sind online, ständig. Was kommt denn da? Zwei Frauen, die sich einen Kasten mit 24 Angkor Cans, das sind die Bierdosen, besorgt haben. Das wird spannend. 12 für jede? Wahrscheinlich wird später alles rausgekotzt. Ich bleibe dran.
Von draussen kommen die Handverkäufer, alles Kinder. Nüsse und Obst. Children safe network fordert auf, nichts zu kaufen, denn bei Erfolg schicken die Eltern ihre Kinder auf die Strasse und nicht in die Schule. Sie bleiben am Tisch stehen und verfolgen mit großen Augen die 4456, “tears in haeven”. nach 1851, ” hotel californis” muss ich wieder abgeben. Immer zwei Songs pro Tisch und ich bin alleine. Aber nicht mehr lange. Zwei junge Männer vom Schnelltrinkertisch kommen rüber. Wahrscheinlich sitze ich günstiger zum Frauentisch mit dem Angkor. Inzwischen kümmern sich vier Frauen um den selbstmitgebrachten Kasten Bier. Das zieht die Männer an, barfuss und laut. So wie wir in jeder berliner Kneipe nach Mitternacht, nur nicht barfuss. 4428, “take me home” und noch schnell “he aint heavy, he’s my brother” von den Hollies. Da haben wir früher immer eng getanzt, ist hier gar nicht möglich.
Der DJ, also der Zahleneingeber, knackt seine Kokosnuss auf dem Fliesenboden, mutig. Sie zerspringt, mission completed! Die Schalen liegen da. Jetzt sitzt mein Pärchen schon so lange hier und sie haben sich noch nicht einmal angefasst. Dabei passen sie gut zusammen. Wäre schade wenn es nicht heute und hier passiert. Aber was dann? In Kambodscha dürfen sich nur Verheiratete in der Öffentlichkeit als Paare zeigen und schlimmer, die Eltern akzeptieren niemanden, der nicht ein eindeutiges Heiratsversprechen macht und anzahlt.
Jetzt ist der Frauentisch dran. Lambada auf Khmer. Das könnte man gut tanzen, geht hier aber nicht und vor allem nicht Lambada. Der Tanz ist eine sich entfernende sportliche Betätigung mit rythmischen Bewegungen, wobei niemals die Distanz auf weniger als einen Meter verkürzt wird. Niemals. Die Hände bewegen sich a-rythmisch, mal rechts und links, die Handflächen werden nach innen und dann nach außen gedreht. Den habe ich mal mit der Frontfrau von Kaoma in der Werner Seelenbinder Halle kurz nach der Wende backstage getanzt.
3887, “Sailing” und noch ” My Heart Will Go On”, der Titanic-Song. Und dann geht das Schiff unter. Ganz plötzlich. Eine der Damen ist bereits so betrunken, das sie ihr Handy in meine Richtung wirft. Sie meinte wohl meinen betrunkenen Nachbarn, hoffentlich, aber das ist ein absolutes… no go, cat loi….zahlen bitte! Ich zahle, verschwinde und komme wieder. 3315, “Nights in White Satin” steht noch aus. And I love you, and I love you…o o o…I love youuuuuuuuuuuu. Ich singe so gerne.
” … Ich zahle, verschwinde und komme wieder. …” Herrlich! 2,5 Liter pro Krug sind allerhand. Danke für den Artikel.
Beim Lesen musste ich mir erstmal ein Bier öffnen und darüber nachdenken, wann ich zuletzt gesungen habe. Was werden die Jungs in meiner Stammpinte sagen, wenn ich Ihnen vorschlage, Karaokeabende zu veranstalten? Irgendwie ist das keine schlechte Idee. Oder ich fliege nach Kambodscha.