Die Straße 33A ist lang. Sie zieht sich an den Phnoms, das sind die Hügel der früheren Strandstadt Kep entlang, Richtung Norden. Irgendwo hier muss der Eingang sein zu einem “Shortcut”, einer Abkürzung in Richtung Vietnam. Ich habe eine kleine Karte dabei. Es gibt Nationalstraßen und Provinzstraßen und es gibt eine gestrichelt Linie, die sich in großen Bögen östlich nach Vietnam erstreckt.
Kurz hinter Kep stoppe ich meine rote Honda Wave direkt vor einem Mann, der gerade aus östlicher Richtung kommend auf die 33A einbiegen will. Ich frage ihn nach einem “shortcut”, sehr große Augen erwidern mir eingeschränktes Verständnis, dann frage ich ihn nach dem Fischerdorf Angkaul, die Augen werden etwas kleiner, ziehen sich zurück, dann zeige ich ihm die Karte, die Augen werden ganz klein und schließen sich. Dann dreht er die Karte auf den Kopf, nickt sehr weise und gibt mir zu verstehen, ich möge ihm folgen.
In übersichtlicher Geschwindigkeit folge ich ihm bis zur Nationalstraße 33 und muss wie schon so häufig in Kambodscha feststellen, das die Hilfsbereitschaft immer sehr groß ist aber es selten dem Anliegen dient. So auch diesmal. Ich stehe auf der Nationalstraße nach Phom Penh und da wollte ich ja nun gar nicht hin.
Ich fahre die nächste Straße Richtung Süden. Es gibt keine Hinweise, keine Zeichen und doch handelt es sich um eine breit ausgebaute aber teilweise unbefestigte Straße.
Es gibt Länder, da machen GPS Geräte keinen Sinn. Das Kartenmaterial ist gut, die Kennzeichnung der Kreuzungen und Abzweige unmissverständlich. Doch in Kambodscha gibt es keine präzisen Karten. Alle sind grob und aus freier Hand gezeichnet, ohne Maßstab und damit ohne Entfernungsorientierung. Das macht das Fahren hier beschwerlich und abenteuerlich. Eigentlich suche ich das ja, beruhige ich mich. Der Weg ist das Ziel. Doch wo ist Vietnam?
Die Landschaft hier wird bestimmt durch die Salzfelder, unterbrochen durch Phnoms, schroffe teilweise steile Hügel mitten aus dieser flachen Landschaft ragend.
Der erste wirklich präzise Hinweis, dass es hier nach Vietnam geht, ist ein Richtungsschild zum Casino nach Hat Tien: “Ha Tien Vegas Casino”.
Das hier ist kein “Shortcut” und mit Sicherheit keine Abkürzung, aber es ist der richtige Weg. Ich beschließe den kurzen Weg von hinten aufzurollen und werde den Einstieg an der Grenze später suchen.
Die kambodschanische vietnamesische Grenze in Hat Tien ist noch nicht lange geöffnet. Vor wenigen Jahren entstand hier eine Wirtschaftszone im 8km Grenzbereich mit Sondermöglichkeiten. Casino und zollfreies Einkaufen, der Schmuggel mit den üblichen Kleinwaren wie gefakte i-phones, Sonnenbrillen und Unterwäsche ist dabei kaum erwähnenswert. Die große Wäsche ist hier wichtig. Denn hier wird Geld gewaschen, in ganz großem Stil. Diese Grenzcasinos gibt es überall in Südostasien, in Laos wäscht Thailand, in Vietnam wäscht Kambodscha und in Kambodscha wäscht Vietnam. Westliches Geld aus Koffern wäscht sich überall gut, es muss nur irgendwie ins Land kommen.
Schwere Landcruiser und nagelneue Lexus Fahrzeuge machen mir das Leben schwer, der aufgewirbelte rote Staub klebt auf der nassen Haut. Sogar ein gepanzerter schwarzer “Hummer” ist dabei, Kennzeichen “Phnom Penh”.
Dann der Grenzort. Entstanden aus dem Nichts. Diese Orte gibt es überall auf der Welt. Schnell erbaute Häuser, vollgestopft mit Waren aller Art, davor die in diesem Land üblichen Breitmopeds. Auf der Soziusbank ist starr befestigt eine 2 Meter breite Konstruktion, die zum Überladen auffordert.
Dann der Schlagbaum. Wie immer, unvermittelt und plötzlich, immer störend. Die manuelle Bedienung, eine lange Schnur am Gewicht des rot-weißen Baumes, hängt schlaff auf dem Boden. Im Grenzhaus schläft ein Beamter oder tut zumindest so. Vollbeladene “Zweimeterbreitemopeds” fahren unkontrolliert hin und her, eine Kontrolle findet nicht statt.
Ich denke mir nichts und fahre auf diese 2,50m breite Öffnung zu. Der Beamte öffnet beide Augen, richtet sich auf und stoppt meinen Versuch des Grenzdurchbruchs.
Ok, denke ich, frag ihn, ob man ohne Visum weiterkommt. Er spricht kein Englisch, warum auch. Casinogänger haben eine Sondergenehmigung und sonst kommt hier keiner, der englisch spricht. Gegenüber ist die Immigration, nehme ich an, Flagge und Schilder, stelle mein Moped auf kambodschanischer Seite ab und gehe ins Grenzgebiet.
Meine Fragen lassen sich nicht beantworten. Dabei wollte ich nur wissen, ob das verlängerte Touristvisa (mehr geht nicht in Kambodscha) entwertet wird bei der Ausreise und man damit bei der Rückkehr, da ja nicht verlängerbar, ein Einreiseverbot nach Kambodscha erhält, dadurch das Moped fahrerlos zurückbleiben müsste und ich mangels eines Visas für Vietnam wahrscheinlich unfreiwillig wegen Visavergehens nach Saigon abgeführt werden würde. Mehr wollte ich doch nicht wissen, doch ich weiß auch nicht, wie man das alles pantomimisch darstellen kann, denn bei der Immigration sprach keiner Englisch und mein kambodschanisch ist doch sehr eingeschränkt auf Wörter wie “Phnom”.
Mein für 50$ in Sianoukvill gekauftes Visa zeige ich keinem, verlasse den Zwischengrenzbereich zügig und werde den Visarun auf das nächste Mal verschieben müssen, wenn ich gesicherte Informationen habe.
Der Beamte schläft, jedenfalls tut er wieder so, ich besteige mein Moped und mache mich auf die Suche nach dem “Shortcut” zurück nach Kep.
Die Salzfelder machen es mir jetzt etwas einfacher. Hier gibt es gar keine Wege, hier führt nichts an die Küste, zumindest denke ich das bis zu dem Zeitpunkt, als ich in weiter Entfernung eine Staubwolke sehe, ein Moped mitten in den Salzfeldern.
Ah, denk ich, man muss wohl über die schmalen Dämme. Okay. Der nächste Damm ist meiner. So hangle ich mich in rechteckigen Winkelzügen Stück für Stück auf einen Phnom zu, der in meiner Karte die einzige Orientierung darstellt. Dann eine rote kleine Straße. Das muss er sein, der “Shortcut nach Vietnam”. Und tatsächlich, ich komme nach Angkauf, ein völlig vergessenes Fischerdorf im geruhsamen Schlaf. Doch die Plastikplane über einer Luxuslimousine könnte das erste Zeugnis der anstehenden unaufhaltsamen Zeitenwende sein.
Krabben werden verpuhlt, Netze gestopft, Fische getrocknet. Am Natursandstrand mit den Meeresfrüchten des letzten Sturms, Holz, Plastik und Tang, sehe ich in einiger Entfernung bereits Kep. Es kann ja nicht so schwer sein, den “Shortcut” zu beende. So setze ich mich auf das Moped und umrunde den Hügel. Mehrere Buddhatempel sind bewohnt, die orangenen Tücher der Mönche wehen im meerseitigem Wind. Heute ist Waschtag.
Salzfelder werden zu Reisfeldern und der steht in diesem Jahr sehr hoch. Die Regenzeit war heftig und lang. Die kleinen ausgefahrenen Dämme zeigen den Weg, der hohe Kep-Nationalpark dient zur Orientierung, ein Kompass ist nicht notwendig.
Diese neuzeitliche Spurensuche orientiert sich an anderen Kriterien, als noch unter Old Shatterhand und Winnetou.
Spätesten Autoreifenspuren zeigen den Durchbruch, doch davor liegt noch Arbeit. Die Wege, die eine Verbindung zwischen zwei bewohnbaren Orten sein sollen, müssen fähig sein 2 Meter Lasten Mopeds zu tragen. Sind die Wege schmaler, führen sie zu privaten Hütten. Es gibt keine Luftlinienlogik. So führen schon mal Wege auch zurück um nach Vorne zu kommen. Irgendwann kommt immer eine Hütte, da muss man dann durch, im wahren Sinn der Worte, unten durch. Immer ein Grinsen im Gesicht ist hierbei der Garant für erfolgreiche interkulturelle Begegnungen.
In den Salzfelder herrschen eigene Gesetze. Die Felder sind groß und haben Zu- und Abflüsse, die selten überbrückt sind. Hier herrscht die Rugbyregel. Immer zurück fahren, um nach Vorne zu kommen. Alles meerseitige Vorankommen ist aus Zuflußgründen versperrt. Geht gar nichts mehr, geht es über den Strand, den Spuren nach, absitzen und das Moped an der Hand im 1. Gang durch den feinen Sand führen.
Friedhöfe nicht durchfahren, Salzhallen haben meistens einen Autozugang und kommt ein Mobilfunkmast, der muss ja auch irgendwie dahin gekommen sein. Da gibt es einen Zuweg, der meist auf eine größerer Straße führt. Aber die wollen wir ja nicht. So führt mein “Shortcut” weiter und weiter kreuz und quer durch die Landschaft. Die Sonne hat schon lange den höchsten Punkt hinter sich und ich habe bereits die dreifache Zeit verbraucht als auf der geordneten Hinfahrt und es ist noch kein Ende in Sicht.
Ein winziger Damm führt an der Meersseite zu einem weiter hinten sichtbaren Dorf. Der Weg ist sehr schmal. rechts Wasser, links Salzfelder und kein Platz im Notfall seine Füße aufzusetzen. Vielleicht die dreifache Reifenbreite meines Mopeds, jeder Seitenwind wird zur Herausforderung. Doch es geht gut. Über mehrere außenliegenden Wohnstuben mit grüßenden Menschen jedes Alters geht es in Richtung 33A. Bei KM 14 treffe ich auf diese geteerte Straße nach Kep. Da muss man also rein, da geht es zum Shortcut nach Vietnam. Naja, shortcut?
Denn es gibt nicht nur einen Shortcut, es gibt tausende von Möglichkeiten, diese Salz- und Reisfeldlandschaft zu überwinden, in “Longcuts”, denn “short” ist hier gar nichts und das macht dieses Gelände eigentlich zu einem hervorragende Offroadgebiet für ambitionierte Mopedfahrer.
Das nächste Mal nehme ich mein GPS Gerät mit und werde diese Strecken mal abscannen. Denn ich würde wirklich mal gerne wissen, wo ich überhaupt war, zwischen Himmel und Erde, zwischen Salz und Reis, zwischen Vietnam und Kambodscha.
Die Tour interessiert mich. Ist so eine Fahrt im Hinterland als gefärhlich wegen Diebstahl und Behördenstress einzustufen? Danke für den schönen Bericht.
die tour kenne ich doch irgendwoher..
wir sind von kampot gestartet und über kep “irgendwie” bis zum schlagbaum nach ha tien gekommen.
den grenzübergang haben wir allerdings auch nicht gewagt da wir weder visum, passport noch die nötige doller dabei hatten um uns den weg frei zukaufen.
gefährlich würde ich nicht sagen, allerdings solltest du unbedingt brille und atemmaske aufsetzen, da der rote staub sich überall niederlegt.
über die visaproblematik würde ich gerne mehr erfahren, wie ist das mit dem zweiwochen touristenvisum und ist es möglich ein moped was in kambodscha zugelassen ist in diesem zeitraum mit nacht vietnam zu nehmen?