Kambodscha live: Die Jacke ist weg

Die letzten Reste der Nacht bewegen sich schwankend nach Hause. Es wird Morgen in Pattaya. Ich warte auf den Minibus nach Siam Reap. Mit thaiüblicher Verspätung erscheint der Fahrer lächelnd bei Radi Mansion, die sichersten Hochburg in Patthaya. „Cambodia, u ticket?“ Es ist 7:30. Die Besatzung im Bus liegt tief versunken in den eigenen Armen, Gesichter sind kaum auszumachen. Ich war wohl der letzte der eingesammelt wurde, es geht auf die Autobahn. Acht Stunden sind angekündigt, da lohnt es sich schon, den Platz für die Beine neu zu organisieren. Der letzte Gast kommt auf den Klappsitz, an der Schiebetür ist reichlich Platz für lange Beine. Meine schwere Motorradlederjacke hänge ich rückseitig über den Beifahrersitz. Die Jacke hinterlässt immer ein Raunen und Staunen. Welcher Trottel reist mit einer warmen, schweren und dazu noch schwarzen Lederjacke durch ein tropisches Land. Naja, eben ich. Es sind die vorausgegangenen langen Motorradtouren durch Thailand. Auch wenn meine Honda Phantom wieder auf Phuket steht, die Jacke muss mit. Sie versieht beste Dienste, gibt manchmal Sicherheit, hält wohltuend die Temperatur im Gleichgewicht und den leichten Regnen ab. Zum Wandern bei 35 Grad ist sie weniger geeignet. Und der deutsche Winter ist Ende März noch nicht beendet, also…..und kommunikativ ist sie allemal.

Die Reise einer Lederjacke durch Kambodscha
Die Reise einer Lederjacke durch Kambodscha

Der Minibus fährt eine Gastankstelle an. Hier stehen drei Minibusse der Patthaya-Siam Reap Connection. Alle aussteigen. Wir werden neu verteilt, ein System ist nicht auszumachen. Ich komme auf den Beifahrersitz im gleichen Bus, die Jacke bleibt hinter mir hängen. Im hohen Tempo durchkreuzt unser Minibus das unübersichtliche Netz der Straßen, hier eine Abfahrt, dort eine Auffahrt, mittendrin eine Kreuzung ohne Ampel. Viel Beton für diese paar Autos.

Grenzgang
Grenzgang

Gegen 12:00 erscheint das erste Schild „Border“. Eine Polizeikontrolle bestätigt die nahende Grenze zu Kambodscha. Wir nähern uns  Poipet, der thailändischen Grenzstadt.

Vor 15 Jahren bin ich hier das erste Mal durchgefahren. Nichts erkenne ich wieder. Aus der kleinen Stadt ist eine Großstadt geworden. 1993 öffneten sich die Grenzen zu diesem geschundenen Land erstmalig wieder, alles war zerstört, Straßen Tempel und die Seelen der Menschen. Pol Pots Massaker haben dieses Land in die Steinzeit zurückgeführt. Poipet war Flüchtlingshochburg. In umliegenden Lagern überlebten einige Kambodschaner dieses Regime der Steinzeitkommunisten. Der Film „Killing Fields“ zeigt dieses sehr eindrucksvoll. Der Grenzdurchgang war damals ein kleiner Durchgang für die vielen grenzüberquerenden Handkarren, die erste Waren nach Kambodscha brachten. Wir kamen damals mit einem Minibus aus Bangkok nach endloser Fahrt durch die Thaipampa hier an.

Die Handkarren gibt es immer noch
Die Handkarren gibt es immer noch

Heute ist alles durchorganisiert auf der Thaiseite. Doch was für eine Markt dies und jenseits der Grenze. Endlose Verkaufszeilen auf Thaiseite, einige Groß-Casinos auf Kambodschas Seite. Hier zieht die kambodschanische Mafia den reichen Thais die Hosen aus. Doch die Handkarren sind geblieben. Das Gepäck wird ausgeladen und der Treck der Grenzgänger geht zu Fuß weiter. Im letzten Augenblick fällt mir auf, die Jacke hängt noch im Bus. Ich renne zurück, schlage auf die Heckklappe der gerade abfahrenden Mini-Busses, der Fahrer hält an. Lächelnd übergibt er mir meine Jacke. Er wusste was er noch im Wagen hatte. Gepasst hätte sie nicht, aber man weiß ja nie.

Stau am Einreisestempel
Stau am Einreisestempel

Es geht über die Grenze. Medizinischer Kontrollpunkt. Beim ersten Mal mussten wir noch vor den Augen des Grenzers eine Pille schlucken, von der keiner wusste was da drin ist. Heute muss man einen gelben Zettel ausfüllen, ankreuzen, dass man keine Krankheiten hat. Was das soll bleibt ein Rätsel, damals wie heute. Ein Stau beim Einreisestempel Kambodscha. Das Visum gab es noch auf Thaiseite. Hier in Kambodscha geht die Uhr anders. Doch wer 5$ zahlt, kann an der Schlange vorbei. Doch es macht keinen Sinn. Denn der Bus auf Kambodschas Seite wartet bis der letzte der Gruppe durch ist. Warten in der Schlange oder Warten im Bus, up to u….

Der Grenz-Transferbus zum Siam-Reap-Bus wird meiner Jacke zum Verhängnis. In der Hektik bleibt sie liegen, hinten links. Verdammt. Erst eine Stunde später fällt es mir aus, ich befinde mich bereits auf der nagelneuen Nationalstraße. Damals brauchten wir noch 14 Stunden um SiamReap zu erreichen, heute geht das in 3 Stunden. Die Brücken sind letztes Jahr alle fertig geworden, der Straßendamm hoch genug um auch stärksten Monsunattacken zu trotzen.

Die neue Nationalstrasse - Kambodschas Nabelschnur
Die neue Nationalstrasse – Kambodschas Nabelschnur

Damals verschwanden die Autos vor uns in den endlosen Löchern der Straße, Kinder wurden bei den Flussdurchfahrten als Positionen gesetzt, um mit Anlauf durch sie hindurch zu fahren. Wir saßen auf einem offenen Pickup, ständig bedroht von möglichen versprengten schwer bewaffneten Roten Khmers, die auf der Flucht vor den Vietnamesen waren, die das Land befreiten von diesen Schlächtern.

Die Jacke ist weg. Eigentlich traurig dieser Abgang nach 30 Jahren. Einige Male hatte sie mir das Leben gerettet, vor allem damals vor 29 Jahren in Hamburg auf regennasser Straße oder vor 19 Jahren in der Dämmerung vor Königs Wusterhausen, als eine weiße Hirschkuh plötzlich auf der Straße stand und ich sie mit meiner CX 500 teilte. Der Förster bedauert am nächsten Tag den Totalschaden am Auto und ungläubig hörte er, das das ein Motorrad gewesen sein soll. Doch er bedankte sich, da man schon lange hinter dieser Kuh hinterher war, sie versaute als Albino die Herde im Wald. Ja, diese Geschichten fallen einem ein, wenn man sich verabschieden muss, auch wenn man gerade durch Kambodschas Reisfelder fährt.

Anrufen? Man kann leider nicht aus Kambodscha nach Thailand telefonieren, außerdem war es doch ein öffentlicher Transferbus. Und zudem funktioniert meine Kambodscha SIM Karte nicht mehr. Gerade 2 Monate alt. Dann geht plötzlich dem Bus die Puste aus. Das Gaspedal durchgedrückt, versucht der Fahrer 26km vor Siam Reap mit deutlich reduzierter Geschwindigkeit noch sein Ziel zu erreichen. Einige Mal hält er an, versucht es mit Stand-Vollgas, doch bei Fahrt schafft er nur ein Zehntel der Kraft. Mit Hängen und Würgen erreichen wir die staubigen unbefestigten Wege kurz vor Siam Reap. Ein letzter Rest von damals.

So wie damals - die Einfahrt nach Siam Reap
So wie damals – die Einfahrt nach Siam Reap

Dann sind wir da. Doch nicht alle. Meine Jacke ist in Thailand geblieben. Ich gehe zu einem der umstehenden Tourguides, die schnell eine Job für die morgigen Tempelbesichtigungen haben wollen. Meun spricht gut Englisch. Und es ist selbst Biker, sagt er. Was für ein Trost. Er will sich kümmern und gibt mir seine Karte. Hoffung kommt auf, doch ich glaube an gar nichts. Am nächtsen Tag rufe ich ihn an. Die Jacke ist mit einem Privattaxi unterwegs von der thailändischen Grenze nach Angkor, 30$ für die Tour. Eine Luxuanreise gegen meine Klapperbustour. Unglaublich. Jetzt reist sie schon alleine.

In Kambodscha ist viel möglich, wir werden es noch sehen.

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