Das Ende einer Illusion – Kriminalität in Kambodscha

Ich sitze in einem Tucktuck in Phnom Penh und fahre zurück ins Hotel. Plötzlich überholt ein Motorrad. Zwei junge Männer schauen rüber, sehen meinen kleinen Rucksack und greifen bei voller Geschwindigkeit zu. Ich habe ihn mit einem Bauchgurt gesichert, fasse die Hand des Diebes und drücke sie zurück. Das Motorrad verschwindet im Dunkeln, mein Herz rast.

Meine kleine Wohnung in Sihanoukville liegt im ersten Stock. Ich habe die letzte an einem langen Balkon, der als Zugang dient. Bei mir kommt niemand vorbei. Eine kleine Stange mit Kleiderbügeln steht vor meinem Schlafzimmerfenster. In Kambodscha herrscht tropisches Klima, Luftfeuchte ist immer. Daher müssen die Kleider ab und zu in der frischen Luft hängen. Ich mache es oft über Nacht, da stört es am wenigsten. Doch diese Nacht ist anders. Als ich morgens aus dem Fenster schaue, ist der Kleiderständer fast leer. Kleidung für mindestens 500€ ist verschwunden. Hängengeblieben sind alte T-Shirts und zwei alte Jeans. Ich bin 190 cm groß. Wem passen meine Sachen hier im Land der kurzen Menschen? Bei meinen Nachbarn sind die Schuhe verschwunden, in der Nachbarschaft sehr viel Wäsche. Eine Bande war am Werk.

Mit Schloß und Stahlseil
Mit Schloß und Stahlseil

Die angenehme Illusion der Sicherheit verschwindet. Und gestern wurde mein Motorrad gestohlen. Beim Ocheutal-Beach ist die Travellerhauptstraße. Hier liegt das Led Zephir, meine Lieblings-Livebandbar. Hell erleuchtet. Die Tische stehen direkt bei den Bikes. Ich fahre auf ein Pärchen zu. Mein Bike steht keine zwei Meter von ihnen entfernt. Keines der anderen Bikes ist angekettet. Gelegentlich läuft ein Securitymensch herum. Also lasse ich das schwere Schloss unterm Sitz und gehe hinein. Drinnen spielt die Band gute und bekannte Stücke. Nach zwei Stunden gehe ich und suche mein Bike. Es ist weg! Das Pärchen, das immer noch an der gleichen Stelle sitzt, hat nichts bemerkt. Ich informiere den Manager des Clubs. Es spricht sich schnell herum, was draußen passiert ist. Fast alle Bediensteten kommen zum Schauen, eine kambodschanische Sitte. Alles, jeder Streit, jeder Unfall, ja jedes Ereignis hat innerhalb von Sekunden zahlreiche Beobachter.

Jetzt höre ich mehrere Geschichten über Motorrad-Diebstähle. Der Manager wird eine Videokamera zur Überwachung installieren. Der Diebstahl eines nicht angeketteten Bikes ist relativ einfach. Die Schlüssel passen fast in jede Honda, alte Bikes gehen auch ohne an. Daher hat das Pärchen nichts mitbekommen. Es war ein ganz normales Abholen und Wegfahren. Niemand hat etwas gemerkt.

Ich melde den Diebstahl noch nachts meinem Vermieter. Der sagt, ich solle morgen das Geld vorbeibringen, dann kann er ein Bike kaufen, das könnte ich haben. Am nächsten Tag gehe ich zu ihm und bin nicht alleine. In der vergangenen Nacht wurden drei seiner Motorbikes gestohlen, eines für 1600$, eine Honda 3 mit 125ccm.

David ist außer sich. Immer hat er sein Bike verriegelt und verrammelt, es vor sein Zimmer gestellt und das große Eisentor vorm Mehrfamilienhaus geschlossen. Er zeigt mir 500$ in sauberen gebügelten 100’er-Scheinen. Er ist zur Polizei gegangen und hat dem Offizier diese Scheine vor die Nase gehalten. “Wenn du mir mein Bike bringst,” hat er gesagt, “dann gehören die Scheine dir.” Bei einem Gehalt von 70$ ein lukratives Angebot. Nur hätte David nicht sagen dürfen, “Falls nicht, dann kriegst du gar nichts.” Der Offizier bestand auf 100$ Bearbeitungsgebühr. David ist gegangen. Er will den Dieb selbst fangen, ihm auflauern und Fallen stellen, vielleicht GPS-Sender einbauen. Ich sage ihm, lass mal, das geht hier nur mit der Polizei.

Rumfummeln an Motorbikes
Rumfummeln an Motorbikes

Ein deutsches Ehepaar ist da. Auch ihr Bike ist weg. Sie waren einkaufen in einem Shop, ein Wachmann stand davor. Es sah alles sicher aus. Als sie rausgingen, war der Wachmann weg und ihr nagelneues Motorbike ebenfalls. “1200$”, sagt sie. “Ja , ich weiß”, sage ich. Mein Motorrad-Vermieter bittet mich hinein. Ich zahle und frage nach dem neuen Bike. “Ja, ganz neu ist es nicht”, sagt er und fügt hinzu: “Demnächst kann ich welche von der Polizei kaufen, fast neue.”

Heute Nacht wurde ein Ausländer vom Motorrad geholt. Zwei Motobikes haben ihn gestoppt, er wurde verprügelt. Dann war er sein Motorrad los. Seit ein paar Tagen fahre ich keine dunklen Straßen bei Nacht. Ich parke nur noch auf bewachten und bezahlten Plätzen und kette mein Vorder- und mein Hinterrad an.

4 Gedanken zu „Das Ende einer Illusion – Kriminalität in Kambodscha

  1. Der offensichtliche Wohlstand der Touristen, die scheinbar nicht arbeiten müssen und nach lokalen Maßstäben steinreich sind, macht aus solchen Diebstählen Kavalierdelikte.

  2. warum in die Ferne schweifen, liegt das Gute doch so nah. Z.B. bei uns im Ruhrpott: da gibt`s viel zu gucken, und Unterhaltung auch. Der BVB ist Meister, Schalke schmiert wieder mal ab und die Leute sind rauh, aber herzlich. Und Motorad klauen gibt`s hier nicht, nur dicke Autos. Und billiger ist`s auch.

  3. Wenn man dies so alles liest, hätte ich grosse Lust, mein “Kambodscha-Projekt” über Bord zu schmeissen… Nun, ich gehe jedenfalls nochmals über die Bücher und schaue mich nach Alternative(n) um!

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